Nina Laaf


Eröffnungsrede Hanna Nagel Preis 2018

Eröffnungsrede | Hanna-Nagel-Preis | Nina Laaf - tiptoe
von Hanna Leidig 4. Mai 2018

Guten Abend auch von mir, vielen Dank erst einmal an das gesamte Team der Städtischen Galerie für die Einladung und vor allem vielen Dank an dich liebe Nina, die du mir das Vertrauen entgegen bringst, hier erstmals in so einem institutionellen Rahmen zu sprechen.

Die erste Frage, die sich mir stellte, als ich mich den Arbeiten von Nina Laaf zuwandte, um Sie heute entsprechend inhaltlich einzuführen - war: "Wie zum Teufel schreibt man eigentlich eine Rede?"

Vom Texte schreiben und vor allem vom Lesen solcher wusste ich, dass wenn man sich am Anfang mit den eigenen Worten schwer tut, es am einfachsten ist, sich die eines anderen zu leihen. Im Idealfall von jemand, der deutlich älter und bekannter ist als man selbst, und dessen Worte nur halb etwas mit dem Thema zu tun haben, damit man nicht allzu viel vorneweg nimmt. 1898 schrieb also der Architekt und Kritiker Adolf Loos, — die meisten werden von ihm wahrscheinlich seine Schrift Ornament und Verbrechen kennen — in Das Prinzip der Bekleidung folgendes:

„Ein jedes Material hat seine eigene Formensprache, und keines kann die formen eines anderen materials für sich in Anspruch nehmen. Denn die Formen haben sich aus der Verwendbarkeit und Herstellungsweise eines jeden Materials gebildet, sie sind mit dem Material und durch das Material geworden. Kein Material gestattet einen Eingriff in seinen Formenkreis. Wer einen solchen Eingriff dennoch wagt, den brandmarkt die Welt als Fälscher. Die Kunst hat aber mit Fälschung, mit Lüge nichts zu tun. Ihre Wege sind zwar dornenvoll, aber rein.“

Lassen wir das einfach mal so stehen... und kommen einer etwas anderen Geschichte, die eine andere, weniger strenge Haltung zum Material beschreibt:

20 Jahre später - 1918, also vor genau 100 Jahren - entwarf ein anderer Architekt Hans Poelzig die Umgestaltung einer ehemaligen Markthalle hin zum Großen Schauspielhaus Berlin - durch seine expressionistische Formensprache später auch bekannt als die „Tropfsteinhöhle“. Von dem Gebäude selbst ist heute nichts mehr erhalten, was uns aber bleibt sind die Fotografien vor allem des Foyers und seiner Säulen. Wer diese kennt, und vielleicht auch schon in die Ausstellung drüben schielen konnte, weiß auf welche Arbeit von Nina Laaf ich gleich über leiten werde.

Die Eisenstützen des Vorgängerbaus wurden mittels Gips und Maschendraht ummantelt und so zu expressiven Plastiken - sie wurden verkleidet und die Verkleidung erhält so im Austausch Eigenschaften wie Tragfähigkeit, Stabilität.

Hier wäre ich jetzt an dem Punkt, an dem ich wunderbar zu Nina Laafs Säulen-Arbeit und ihrem Umgang mit Materialität überleiten könnte.

Wir wären hier aber nicht beim Hanna-Nagel-Preis, wenn ich nur Hinterlassenschaften alter, berühmter Männer als Referenzen heranziehen würde. 

Die Entwürfe der Säulen, die das Erscheinungsbild des Großen Schauspielhauses so nachhaltig prägten, waren nicht von Poelzig sondern von der jungen Marlene Moeschke - eine der ersten Frauen die an der Hamburger Kunstgewerbeschule Bildhauerei studieren durfte und später als seine zweite Ehefrau mit Poelzig zusammen das Bauatelier Poelzig gründete und lange allein weiterführte. 

Das ihr eigenes Werk kaum gewürdigt wurde oder wenn nur unter ihrem Mann abgehandelt wurde, ist leider etwas, - und das ist erschreckend -, das uns bis heute nicht sonderlich überrascht. Wir sind es vor allem als Frauen gewöhnt. Und genau so etwas, macht ein Projekt wie den Hanna-Nagel-Preis so wichtig. 

Auf einer der wenigen Ausstellung die eben diese Lebenswerke würdigte - Frau Architekt - im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt, entdeckte Nina Laaf eine Fotografie eben dieser Säule, und adaptiert, inspiriert durch die Form, einzelne Aspekte für ihre Arbeit. 

Extra für diese Ausstellung entstand so die Arbeit mit dem schönen Titel „Wenn die Achterbahn am höchsten Punkt verweilt“

wenn die Achterbahn am höchsten Punkt verweilt...

Trotz der unbestreitbare Ähnlichkeit mit ihrem historischen Vorbild - verfolgt die Arbeit ein ganz eigenes Interesse. Ihrer ursprünglichen Funktion als indirekter Lichtquelle und Ummantelung statischer Notwendigkeiten enthoben, bleibt zurück die Form. Die Form, die uns eigentlich viel mehr an einen Brunnen als an eine Säule erinnert. 

Und eben ihr Fassungsvermögen, das anstatt Wasser nun Gips beherbergt. Den Gips, der nun an den Seiten über die gewölbten Schalen hinaus quillt, spritzt und sich über den Boden des Ausstellungsraums ergießt. 

Der Titel „Wenn die Achterbahn am höchsten Punkt verweilt“ spielt auf genau diesen Moment im Herstellungsprozess an, in dem ganz oben unweigerlich klar wird, das jetzt gleich der Absturz bzw. eine riesige Sauerei folgt. 

Etwas das man an diesem Gips sehr schön beobachten kann und immer wieder in Nina Laafs Arbeiten sichtbar wird - ist so etwas wie das Erstarren oder Einfrieren der vergangen, meist im Verborgenen ablaufenden Handlungen, die eine Form oder eine Setzung im Raum prägen. 

Ähnliches können wir bei der raumgreifendsten Arbeit dieser Ausstellung ohne Titel entdecken - Da wir sie nun nicht direkt vor uns haben, werde ich es ihnen kurz beschreiben (die Arbeit die sie auch auf dem Flyer abgedruckt finden): 

Es handelt sich um ein Metallband, dessen eigene Länge sich an den Maßen der drei anschließenden Ausstellungswände bemisst. An den Wänden durch dezente Halterungen entlang geführt, folgt es der Form des Raumes, um die Ecke, um schließlich in Schleifen über den Boden, halb aufgerollt zu enden - oder zu beginnen. 
Beginnt die Bewegung vielleicht hier? und zieht sich glatt an der Wand entlang ohne an ihr Ende zu gelangen. Die Handlung scheint wie liegen geblieben, erstarrt als bewusste Setzung im Raum. Carolin Meister überschreibt in Bezug auf diese Beobachtung ihren Text im Ausstellungskatalog ganz bewusst mit Things in the making und beginnt ihn mit einem Zitat von William James „What really exists is not things made, but things in the making“

Unterstützt wir dieser Eindruck durch eine scheinbare Leichtigkeit, Flüssigkeit des Materials, das sich wie ein Stoffband windet. - das sind nicht gerade Eigenschaften, die man mit diesem Material zuschreibt, bzw. damit assoziiert. 

Ich erinnere zurück an Adolf Loos der meinte, kein Material erlaube die Formen eines anderen Materials in Anspruch zu nehmen. 
Naja gut, man kann argumentieren, dass wir uns in den letzten 120 Jahren ein ganzes Stück weiterentwickelt haben. und uns an einiges gewöhnt haben. In kleinen Start-ups versucht man heute Textilfasern aus Milch oder Algen herzustellen oder Kunststoffe aus Mais. 

Trotzdem sind wir Gewohnheitstiere, genauer Alltags-Gebrauch-Gewohnheitstiere unsere Erwartungen an ein Material und wie es sich zu verhalten hat, speist sich aus unsere alltäglichen Erfahrungen - dem direkten Gebrauch, der direkten Berührung. - und das ist auch sinnvoll - würden wir jedes Mal aufs neue austesten müssen, ob ein Holztisch eine Blumenvase tragen kann - wir wären nicht nur schwer beschäftigt sondern auch heillos überfordert in der Interaktion mit unsere Umwelt. Wir verlassen uns darauf, das Materialien genau die Eigenschaften aufweisen, wie wir es von ihnen gewohnt sind. Die Kunst interessiert dies Gott sei dank meistens nicht. 

Wenn wir bei die Arbeiten von Nina Laaf so etwas wie Materialimitation oder Materialtransfer - der Transfer von Eigenschaften von einem zu einem anderen Material - wahrnehmen, dann, weil die Verschiebung von Zuschreibungen in unserem Kopf geschieht, aber nicht im Objekt. Das Objekt ist was es ist. 

Ähnlich ergeht es uns mit der Arbeit "Faltung". Die Faltung ergibt sich hier durch eine Origami-Blumen-Falttechnik, bei der ein Kegel, schnell und gleichmäßig flachgedrückt wird. Dass sich ein Kegel aus Kupfer nicht so einfach zusammen falten lässt, wie Papier, können wir uns auch ohne vorangegangene Loos-Lektüre denken. 

 Es erfordert einiges an Krafteinwirkung und Schnelligkeit, um zu dieser Form zu gelangen. Diese sich eröffnende Ambivalenz zwischen Erscheinungsform und Herstellungsweise empfindet Nina Laaf selbst als wesentlich für ihre Arbeitsweise — (schauen sie sich beispielsweise später noch einmal die Bearbeitung des Metallbands genau an, dort werden sie ähnliches feststellen) — und spielt mit der Wahl ihres Ausstellungstitels bewusst darauf an. 

Tiptoe - für mich hat sich das erst einmal sehr verspielt angehört - ist aber eine bewusste Anlehnung an den Spitzentanz im Ballett - ein wahnsinnig elegante, graziöse Angelegenheit, die aber gleichzeitig wahnsinnig viel Kraft, Schmerz - ja Brutalität gegen den eigenen Körper erfordert. 

Auch sonst sollten die Titel der Arbeiten in der Betrachtung nicht vernachlässigt werden. Ist Nina Laafs Umgang mit dem verwendeten Material bereits von ironischen Brechungen gekennzeichnet, führt sie dies sprachlich mittels Titelgebung auf andere Ebene weiter. 

Mein persönlicher Lieblingstitel - "ich wäre so gern ein Alphatier" - benennt eine mehrteilige Installation mit einem aufstrebendem Dreieck. Vielleicht wird es aber viel eher von der Halterung nach nach oben gezogen wird, oder hängt es vielleicht sogar eher lasch in den Seilen. Und auch das Material spielt dieser Unklarheit erneut in die Karten. So besteht das Dreieck aus einem grob bearbeiteten Aluminiumguss, der aber - tritt man näher - eine Oberflächenstruktur wie Styropor aufweist.

ich wär so gern ein Alphatier

Solch ein Mangel an Eindeutigkeit ist ganz entscheidend dafür, dass Ironie entstehen kann - es meint auch nicht einfach automatisch, das Gegenteil - sondern häufig auch „etwas anderes“ , etwas weiterführendes. Nina Laafs Arbeiten funktionieren nicht als Täuschung, die etwas anderes darstellen wollen als das was sie sind, Sie funktionieren als ein In-Frage-Stellen, ein ironisches Augenzwinkern, das uns sagt: "Denk weiter!" 

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!